Ich-Form beim wissenschaftlichen Schreiben verwenden – ja oder nein?

Frage: Beim wissenschaftlichen Schreiben muss ich mich neutral ausdrücken. Die passive Schreibweise ist in meinem Fachbereich weit verbreitet. Mir fällt es schwer, diesen Stil immer anzuwenden. Ich finde, er macht Texte manchmal unlesbar und unverständlich. Die Ich-Form gilt aber als unwissenschaftlich. Muss ich das Ich in meiner Dissertation wirklich komplett vermeiden?

Antwort: Sie sprechen einen unbestrittenen Anspruch bei wissenschaftlichen Arbeiten an: deren Inhalte müssen objektiv, d. h. unabhängig von der forschenden Person sein, damit sie als allgemeingültig angesehen werden können. Die Umsetzung dieses Anspruchs ins Schreiben, das Wie, befindet sich seit einigen Jahren in der Diskussion und im Wandel. Unter anderem beeinflusst durch den angloamerikanischen Schreibstil.

Ich-Form in einigen Fällen sinnvoll

Das ,Ich-Tabu‘ soll dabei unterstützen, subjektive Meinungen und Bewertungen zu vermeiden und wissenschaftliche Erkenntnisse aus der gebotenen neutralen Perspektive darzustellen. Dieses Prinzip zur Umsetzung von Wissenschaftssprache und sachlichem Schreibstil wird heute zunehmend in Frage gestellt. So macht es beispielsweise wenig Sinn, die Interpretation eigener Forschungsergebnisse von sich selbst als Autor oder Autorin abzukoppeln. Ferner erschweren es komplizierte Passivkonstruktionen tendenziell, Texte zu lesen und zu verstehen.  Insofern ist das Ich mit Blick auf eine gute Textverständlichkeit immer häufiger anerkannt und zum Teil sogar erwünscht.

Nutzen können Sie die Ich-Form in wissenschaftlichen Texten beispielsweise in folgenden Fällen:

  • Beschreibung der Textstruktur,
  • Darstellung der Methodik,
  • Diskussion von Ergebnissen,
  • Vorwort und Danksagung.

Schreibstil im Fachbereich und bei Betreuenden richtungsweisend

Um Unsicherheiten auszuräumen ist es empfehlenswert, sich Texte aus dem eigenen Fachbereich anzuschauen und sich mit den dortigen Schreib-Anforderungen vertraut zu machen. Auch die persönliche Einstellung der Betreuenden zur Ich-Form ist wichtig. Wenn Sie von diesen eine eher ablehnende Haltung hierzu erleben, können Sie ins Gespräch gehen und Ihre Argumente für ein Pro diskutieren. Nutzen Sie die Chance und gestalten Sie den Wandel in der Wissenschaftssprache aktiv mit.

Herzlich grüßt aus dem [schreibzentrum.berlin],

Ihre Dr. Gudrun Thielking-Wagner

Daniela Liebscher