Frage: Ich habe bei den Texten für meine Dissertation oft den Eindruck, dass alles nicht gut genug ist, was ich schreibe. Das blockiert mich. Wie komme ich da raus?
Antwort: Von diesem lähmenden Gefühl, dass nichts von dem Geschriebenen den eigenen Ansprüchen genügt, höre ich häufig in meinen Begleitungen Promovierender. Alles scheint irgendwie unklar, unpräzise, banal oder „nicht wissenschaftlich genug“ zu klingen. Der innere Kritiker, die innere Kritikerin sitzt immer mit am Schreibtisch und flüstert: „Das reicht nicht. Du musst das besser machen.“ Und genau da liegt oft der Knackpunkt: Der Anspruch, perfekt zu sein, blockiert den Schreibfluss.
Was in diesen Momenten häufig passiert:
Sie wollen qualitativ hochwertige Inhalte liefern. Das ist auch gut so und zudem die positive Botschaft des inneren Kritikers oder der inneren Kritikerin, die genau darauf aufpassen, dass Sie nicht nachlässig im Recherchieren und Formulieren werden. Und lassen Sie sich nicht verführen, Ihr Geschriebenes mit fertigen, publizierten Texten zu vergleichen. Das verunsichert und erhöht das Risiko, dass Sie sich zensieren, bevor Sie überhaupt etwas geschrieben haben.
Der Text darf beim Schreiben wachsen
Denn es ist vollkommen in Ordnung, erstmal „mittelmäßige“ Sätze zu schreiben. Es ist sogar normal. Fast niemand schreibt gleich im ersten Durchgang etwas Großartiges. Auch nicht bei einer Dissertation. Die Magie liegt im Überarbeiten, aber dafür muss es überhaupt erst einmal Text geben.
Fertige Texte haben viele Überarbeitungen hinter sich und sind erst langsam durch den Feinschliff zu dem geworden, was wir dann als Publikation lesen. Insofern hilft es, sich mit dem Rohtext anzufreunden und darauf zu vertrauen, dass er zu gegebener Zeit – aber eben nicht JETZT – zu einem guten Text werden wird.
So können Sie eine destruktive Abwärtsspirale verlassen:
1. Reflektieren Sie Ihre eigenen Erwartungen
Nehmen Sie ein Kapitel, einen Absatz Ihres Textes zu Hand. Woran genau machen Sie fest, dass Ihr Text nicht gut genug ist? Würden Sie das auch denken, wenn jemand anderes den Text geschrieben hätte? Was wäre das Schlimmste, wenn dieser Text wirklich „nicht perfekt“ wäre?
2. Erlauben Sie sich „Schreib-Chaos“
Nehmen Sie sich 15 Minuten Schreibzeit. Der innere Kritiker/die innere Kritikerin hat jetzt Pause. Hinterfragen Sie schreibend Ihre Stimmen im Kopf: Wie streng mit sich selbst sind Sie? Erwarten Sie ein Meisterwerk von sich selbst ab Tag 1? Wie perfektionistisch arbeiten Sie?
Schreiben Sie einfach drauflos, es ist völlig egal, wie es klingt. Niemand wird Ihren Text lesen außer Sie selbst. Leeren Sie Ihren Kopf. Indem Sie Ihre Gedanken aufschreiben, anstatt sie nur im Kopf zu behalten, schaffen Sie Abstand. Sie machen das Unsichtbare sichtbar und dadurch greifbarer. Viele merken erst beim Schreiben, wie diffus oder übertrieben manche inneren Stimmen (eigentlich) sind. Das kann erleichtern und den eigenen „objektiven Blick“ zum Text schärfen.
3. Holen Sie sich frühzeitig Feedback ein
Trauen Sie sich, schon frühzeitig mit Kolleg_innen, Freund_innen oder Betreuungspersonen über Ihre Gefühle und konkret Ihre Texte zu sprechen. Der Austausch kann sehr entlastend sein. Insbesondere bei Ihren Kolleg_innen werden Sie merken, dass viele ähnliche Gedanken und Gefühle haben. Manchmal hilft es auch schon zu hören: „Mir geht es genauso.“ Formulieren Sie Ihre Feedback-Wünsche an Ihren Text konkret und sorgen Sie aktiv dafür, dass Sie die Rückmeldungen bekommen, die Ihnen weiterhelfen.
Und nicht zuletzt: Achten Sie auf sich. Die Promotion ist kein Sprint. Pausen, Bewegung, ausreichend Schlaf und soziale Kontakte sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Sie die notwendige Gelassenheit im Umgang mit den eigenen Ansprüchen bekommen, sowie langfristig durchhalten und sich dabei nicht verlieren.
Herzlich grüßt aus dem [schreibzentrum.berlin]
Ihre Dr. Gudrun Thielking-Wagner