Verloren im eigenen Text: Endlose Überarbeitungen überwinden

Vignette des [schreibzentrum.berlin] zu Montags-#Schreibtipps rund ums wissenschaftliche Schreiben zeigt einen Doktorhut auf einem BücherstapelFrage: Beim Schreiben meiner Dissertation verliere ich mich oft in dem, was ich bereits geschrieben habe. Ich versinke regelrecht in einzelnen Textpassagen, feile endlos an Formulierungen und komme nicht weiter. Was kann helfen, damit ich aus dieser Sackgasse herauskomme?

Antwort: Viele Promovierende kennen das Gefühl, sich in bereits geschriebenen Kapiteln zu verlieren. Sie lesen alte Passagen, verbessern Sätze, verschieben Absätze, streichen und ergänzen – und plötzlich sind Stunden vergangen, ohne dass neuer Text entstanden ist. Dieses Kreisen um bereits Geschriebenes erzeugt den Eindruck des Stillstands. Statt die Argumentation weiterzuentwickeln, fühlen Sie sich im eigenen Text in einer Sackgasse gefangen, oftmals gefesselt durch die Suche nach Perfektion. Gerade im wissenschaftlichen Schreiben, wo Präzision und Kohärenz zentral sind, ist die Versuchung groß, früh an sprachlicher oder formaler Genauigkeit zu feilen. Wer jedoch versucht, Denken, Schreiben und Überarbeiten gleichzeitig zu leisten, blockiert sich selbst.

Der Schlüssel, um diese Blockade zu überwinden, liegt in der bewussten Trennung von Textgenerierung und Analyse. Diese Trennung bedeutet, dass das kreative, suchende, forschende Denken von der späteren analytischen, prüfenden Bearbeitung des Textes getrennt wird.

Textgenerierung: Ideen finden und sichtbar machen

In der Generierungsphase geht es zunächst darum, Gedanken sichtbar zu machen und Argumente in Bewegung zu bringen, und nicht darum, sie endgültig zu formulieren. Schreiben Sie in dieser Phase möglichst unzensiert und flüssig: Scrollen oder Überarbeiten während des Schreibens haben hier keinen Platz, ebenso wenig wie das Perfektionieren einzelner Formulierungen. Auch unvollständige Sätze sind völlig in Ordnung. Während des Schreibens können Sie Markierungen wie „[Beleg]“ oder „[Übergang]“ setzen, um später gezielt offene Punkte abzuarbeiten. Entscheidend ist, dass Sie Ihr Denken ungehindert fließen lassen. Zeitlich begrenzte Schreibphasen – etwa 60 bis 90 Minuten – können diese Haltung unterstützen. Schreiben Sie in dem Bewusstsein, dass im Ergebnis kein fertiger Text entsteht, sondern ein inhaltlich gehaltvolles Rohmaterial, aus dem Sie die argumentative Struktur später entwickeln können.

Analysephase: Struktur und Kohärenz entwickeln

Erst in der anschließenden Analysephase tritt der kritische Blick in den Vordergrund. Legen Sie idealerweise ein oder zwei Tage Pause zwischen Schreiben und Überarbeiten ein, um den Text mit frischem Blick zu betrachten. Prüfen Sie jeden Abschnitt auf seine Funktion im Gesamtkontext: Welche Aussage trägt er? Welche Rolle spielt er im Argumentationsgang? Wo fehlen Belege, Übergänge oder Präzisierungen? Als sinnvoll erwiesen hat es sich, den Text systematisch in mehreren Schichten zu überarbeiten – zuerst Struktur und Logik, dann Stil und Lesbarkeit, zuletzt formale Details wie Zitate und Fußnoten. Diese gestufte Vorgehensweise verhindert, dass Sie sich erneut in Details verlieren, bevor das argumentative Fundament steht.

Auch organisatorisch lässt sich diese Trennung unterstützen. Führen Sie für jedes Kapitel zwei Dokumente – eines für den Entwurf und eines für die Überarbeitung. Sie können die Trennung auch zeitlich strukturieren: Arbeiten Sie vormittags im generierenden, assoziativen Schreibmodus, nachmittags im analytischen, redigierenden Modus. Ein bewusster Wechsel – durch Pause, Ortswechsel oder das Öffnen eines neuen Dokuments – signalisiert auch mental den Übergang zwischen beiden Phasen.

Diese Strategien sind mehr als reine Arbeitstechniken; sie stellen zugleich eine Form der Selbstfürsorge dar, die davor schützt, sich im bereits Geschriebenen zu verlieren. Sie wirken, indem sie durch Reflexion verhindern, dass Sie im eigenen Textmaterial hängenbleiben. Und nicht zuletzt können sie erleichtern, das Loslassen zu üben und den Text in dem jeweiligen Stadium als angemessen entwickelt zu betrachten.

Herzlich grüßt aus dem Schreibzentrum Berlin

Ihre Dr. Gudrun Thielking-Wagner

E. Liebscher