Antragsprosa, Antragslyrik – was ist das?

Vignette des [schreibzentrum.berlin] zu Montags-#Schreibtipps rund ums wissenschaftliche SchreibenFrage: Ich verfasse einen Stipendienantrag und habe gehört, dass er in „Antragsprosa“ verfasst sein soll. Gibt es wirklich einen eigenen Stil für Anträge?  

Antwort: Vielen Dank für diese „Stil-Frage“! Sie vermuten richtig, dass es hier um eine Art Benimm-Formel geht, die es sich anzuschauen lohnt.

Eigentlich sind die Begriffe „Antragsprosa“ oder „Antragslyrik“ abwertend gemeint. Viele erfahrene Forschende beklagen, dass Antragstexte formelhaft klingen würden, weil sie die Wünsche der Fördereinrichtungen bedienen. Inhalt, Sprache und Stil würden mit ihren Erfolgsversprechen eher Marketing betreiben und eine Fiktion von Forschung aufbauen, als den zähen, unspektakulären Alltag abbilden.

Antragsprosa meint: Zielgruppenorientierung

Weniger polemisch betrachtet meint „Antragsprosa“: Die Textsorte ist hochspezialisiert in ihrer Zielgruppenorientierung, und die spezielle Leserschaft braucht kompakt aufbereitete Informationen. Daher sind Aufbau und Sprache stark standardisiert. Den Grund erkläre ich hier ausführlicher.

Antragsprosa meint: Die wichtigsten Informationen gehören an den Anfang.

Anträge ähneln sprachlich und vom Aufbau der journalistischen Nachricht oder dem Bericht. Informationen werden dabei hierarchisch geordnet. Chronologische und andere Erklärungen folgen erst im zweiten Schritt. So wenden Sie dieses Prinzip an:

  • Titel, Untertitel und Abstract vermitteln bereits so viel Informationen, dass Lesende einen Gesamteindruck von Ihrem Projekt erhalten. Dann lesen sie weiter.
  • Präsentieren Sie Ihre Hauptsache möglichst am Anfang. Erste Sätze beantworten W-Fragen: „Wer – Was – Wann – Wo – Wie“. Dabei muss „Wer“ nicht zwingend von einer Person ausgefüllt werden. Das „Wer“ kann auch Ihr konkreter Untersuchungsgegenstand sein. Ziehen Sie dieses Hierarchie-Prinzip konsequent bis auf die Absatzebene durch.
  • Machen Sie das Einzigartige an Ihrem Projektthema gleich klar: Das bisher einzige Modell / die älteste Zeitschrift / die Organisation mit den meisten Mitgliedern / …
  • Signalwörter unterstützen die Leserführung: „Ziel des Projekts ist…“ (Signal: Nennung des Forschungsziels), „Die Leitfrage lautet: …“ (Signal: Hinführung zur Forschungsfrage), „Drei Methoden sollen kombiniert werden. Erstens …“
  • Aktive Verben vermitteln Tatkräftigkeit. Sagen Sie direkt, was Sie machen wollen und wie: Identifizieren, analysieren, herausarbeiten, überprüfen, entwickeln, anwenden …
  • Die Sprache ist knapp und verständlich auch für Fachfremde.
  • Kürzen Sie gnadenlos Füllwörter heraus. Dadurch rückt Ihre Hauptsache in den Vordergrund: Statt „Ein Blick in die Forschung zeigt, dass Privathaushalte 2023 um 20% mehr …verbraucht haben (Beleg xy).“ Schreiben Sie: „Privathaushalte verbrauchten 2023 um 20% mehr … (Beleg xy).“

Ihre Leserschaft sollte möglichst schon auf der ersten Seite Ihr Forschungsprojekt und seine Relevanz verstehen – es wird Ihnen dafür dankbar sein!

Viel Erfolg wünscht Ihnen

Ihre Dr. Daniela Liebscher


Literatur:

Kai-Uwe Hellmann, Wissenschaftsmarketing: Antragsprosa, Beute-Gemeinschaft, Placeboeffekt, in: POP. Kultur und Kritik, Heft 16, Frühling 2020, S. 49–54.

Susanne Weiss, Michael Sonnabend, Schreiben, Bloggen, Präsentieren. Wege der Wissenschaft in die Welt. Eine Reputationswerkstatt, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft: Essen 2011.

 

 

E. Liebscher