Grenzen setzen und nein sagen

Vignette des [schreibzentrum.berlin] zu Montags-#Schreibtipps rund ums wissenschaftliche Schreiben zeigt einen Doktorhut auf einem BücherstapelFrage: Ich merke, dass ich ständig Aufgaben von meiner Betreuerin und aus dem Projekt übernehme und sehr viel Zeit in die Lehre und Betreuung von Studierenden investiere – und meine Dissertation bleibt liegen. Ich traue mich aber nicht, nein zu sagen. Wie kann ich Grenzen setzen, ohne mich schlecht zu fühlen?

Antwort: Sie beschreiben mit Ihrer Frage ein sehr häufiges Phänomen bei Promovierenden, die berufsbegleitend oder in Kombination mit einer Teilzeitstelle an der Hochschule promovieren: Sie übernehmen für Ihren Job mehr Verantwortung, als ihnen guttut und fühlen sich durch die „Nebenaufgaben“ (Lehre, Projektarbeit, Gremienarbeit) überlastet. Infolge der Schwierigkeit Prioritäten klar zu setzen, gerät die eigene Dissertation ins Hintertreffen, das Risiko für Stress, Erschöpfung und Selbstzweifel ist erhöht.

Äußere systemische und innere psychologische Faktoren beeinflussen das Nein-Sagen

Sie gehören möglicherweise zu den Menschen, die sehr organisiert, pflichtbewusst und zuverlässig sind? Diese übernehmen oft mehr Aufgaben als andere. Das kann unterschiedliche Gründe haben: manchmal sind die von außen gesetzten Grenzen von Zuständigkeiten einfach unscharf, oft spielen aber auch persönliche Faktoren eine Rolle. In Bezug auf eine Promotion bezogen kann dies bedeuten, dass Doktorand_innen fremde Erwartungen oft höher gewichten, weil sie sich in einer abhängigen Situation befinden. Gleichzeitig führen innere psychologische Muster – wie Anerkennungsbedürfnis, Selbstzweifel, Konfliktvermeidung – dazu, dass kurzfristige Bestätigung von außen wichtiger erscheint als das langfristige eigene Ziel der Dissertation. Insbesondere solche Muster könnten das von Ihnen erwähnte Gefühl des Sich-schlecht-Fühlens begünstigen, den Blick auf die tatsächlich notwendigen und mit der Stelle verbundenen Aufgaben verwässern und von den eigenen Bedürfnissen ablenken.

Aber nur wer die eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten ernst nimmt und individuelle Grenzen kennt, ist in der Lage, nein zu sagen, Aufgaben zu delegieren und Hilfe anzunehmen. Die folgenden Strategien können helfen, die Situation zu analysieren und auch in schwierigen Situationen die Entscheidung zu treffen, die Sie tatsächlich wollen und taktvoll zu äüßern.

1. Eigene Aufgaben und Erwartungen anderer klar trennen:

Schreiben Sie eine Liste mit Ihren Aufgaben und Ihren Rollen im Job. Wofür tragen Sie tatsächlich Verantwortung? An welchen Stellen laufen Sie Gefahr, die Grenzen zu überschreiten und mehr zu machen, als Sie müssen? Überlegen Sie, welche Gründe eine Rolle spielen (beispielsweise Selbstwertstärkung, Konfliktvermeidung, innere Glaubenssätze, Prokrastination, Überverantwortungsgefühl). Eine solche Liste kann in Ihrem Gedächtnis als Alarm funktionieren und bei der nächsten Gelegenheit helfen, sich im Sinne der eigenen Bedürfniserfüllung anders und gesünder zu verhalten beziehungsweise bei Bedarf nein zu sagen.

2. Freundlich, aber bestimmt nein sagen (ohne sich schlecht zu fühlen)

Anlass: Ihre Betreuerin (oder jemand anderes im beruflichen oder auch privaten Kontext) bittet Sie um etwas. Sie haben Gründe, warum Sie die Bitte (derzeit) nicht erfüllen können oder wollen.

(1) Antworten Sie nicht sofort. Atmen Sie zunächst tief durch.

(a) Sie wissen genau, dass Sie der Bitte nicht nachkommen wollen → mit Punkt 4 fortfahren

(b) Sie sind sich nicht sicher, wollen in Ruhe darüber nachdenken. → Danken Sie Ihrer Betreuerin für die Anfrage. Teilen Sie ihr dann mit, dass Sie darüber nachdenken und sich am X. (Tag, Uhrzeit) hierzu bei ihr melden werden.

(2) Analysieren Sie die nun die Situation:

(a) Was soll ich genau tun?

(b) Möchte ich dies wirklich tun?

(c) Wie wichtig ist es mir, die Bitte zu erfüllen?

(d) Wie viel Zeit, Kraft, Energie und Lust habe ich momentan gerade selbst?

(e) Was muss eventuell leiden oder zurücktreten, wenn ich der Bitte nachkomme?

(f) Wer bittet mich um den Gefallen (in Ihrem Fall Ihre Betreuung)? Welche Bedeutung hat dieser Mensch für mich? In welchem Verhältnis stehen wir zueinander?

(g) Was passiert schlimmstenfalls, wenn ich den Wunsch nicht erfülle?

(3) Entscheiden, ob Sie den Wünsch erfüllen wollen oder nicht.

(4) Im Falle, dass Sie die Bitte ablehnen wollen, haben Sie je nach Situation die folgenden Möglichkeiten, respektvoll nein zu sagen:

(a) Begründen, beispielsweise: „Ich freue mich, dass Sie an mich gedacht haben, aber ich kann diese Aufgabe nicht annehmen, weil mich das Projekt X schon voll auslastet.“ „Ich bin für diese Aufgabe nicht ausreichend qualifiziert, ich würde mich unwohl fühlen und das würde das Ergebnis negativ beeinflussen.“

(b) Verständnis zeigen, beispielsweise: „Es tut mir leid, dass Sie so im Zeitstress sind und ich weiß, das wird Sie enttäuschen, aber ich kann leider heute nicht aushelfen, weil ich noch einen wichtigen Bericht fertigbekommen muss.“

(c) Bedanken, beispielsweise: „Vielen Dank für Ihr Vertrauen, aber ich kann das leider nicht übernehmen.“

(d) Nur zum Teil verneinen, beispielsweise: „Leider habe ich nicht die Zeit, bei der Veranstaltung mitzumachen. Ich könnte aber bei der Vorbereitung helfen.“

(e) Konsequent sein, beispielsweise: „Ich helfe ja grundsätzlich gern, aber bei dieser Angelegenheit bin ich raus.“ „Tut mir leid, aber an den Wochenenden bin ich grundsätzlich offline.“

(f) Alternative anbieten, beispielsweise: „Leider kann ich Sie nicht unterstützen, aber vielleicht können Sie den Kollegen X fragen?“ oder „Diese Woche geht es leider nicht, aber in drei Wochen habe ich wieder Luft.“

(g) Aufgabenpriorisierung einfordern, von der Betreuung oder Vorgesetzten beispielsweise: „Für diese neue Aufgabe reicht meine Arbeitszeit leider nicht. Was soll ich von meinen anderen Aufgaben weglassen, um diese neue Aufgabe zu erledigen?

Und nicht zuletzt:

Natürlich gibt es auch einfach stressige Phasen, in denen Sie mehr Zeit für Ihren Job brauchen und die zu Lasten der Zeiten gehen, die Sie für Ihre Dissertation geplant haben. Machen Sie sich einen Plan, wie Sie solche Zeiten konkret ausgleichen wollen. Nehmen Sie Pausen sowie Zeiten für Ihre Hobbys und sozialen Kontakte sehr ernst. Diese sind essenziell für Ihr Durchhalten und wirken sich positiv auf die Arbeitsleistungen und damit die Qualität Ihrer Dissertation aus.

Und bedenken Sie abschließend, dass die Promotion eine besondere wissenschaftliche Qualifikationsphase ist, die insbesondere der Befähigung zu selbstständigem wissenschaftlichem Arbeiten dient. Wenn Sie eine Promotionsstelle bekleiden, muss ein Anteil Ihrer Arbeitszeit für die eigene wissenschaftliche Weiterqualifikation bzw. die Arbeit an der Dissertation vorgesehen sein. Dies ist in den Landeshochschulgesetzen deutlich geregelt.

Herzlich grüßt aus dem Schreibzentrum Berlin

Ihre Dr. Gudrun Thielking-Wagner

E. Liebscher