Von Singvögeln und Schlangengruben: Unterwegs im Land der Wissenschaft

 

Was für ein Buchtitel! Eine Freundin empfahl mir den Erfahrungsbericht „Als Frau im Bauch der Wissenschaft“ (1993), nachdem ich mich als Doktorandin und wissenschaftliche Angestellte 1994 selbst in den Bauch der Wissenschaft begeben hatte. Und erste Bekanntschaft mit kleinen Erlebnissen machte, die mein Geschlecht betrafen. Und was passiert, wenn Wissenschaftlerinnen und solche, die es noch werden wollen, auf „ihren Bauch hören“ oder ihren Bauch in Form von Mutterschaft allseits sichtbar machen.

Dank des Titels habe ich das Buch jetzt schnell in der Bibliothek gefunden. Es kommt bereits vergilbt daher. Die Autorin wählte damals als Pseudonym den Namen eines Singvogels – Sylvia Curruca, die Klappergrasmücke. Die Sozialwissenschaftlerin berichtet über ihre 20-jährigen Erfahrungen als Frau im Wissenschaftsbetrieb. Sie schreibt also über die 1980er Jahre.

Na, dachte ich skeptisch, ob sich das Lesen heute noch lohnt? Ja, leider! Denn die Erkenntnis ist ernüchternd:

Frauen haben hierzulande zwar seit den 1990er Jahren an den Universitäten aufgeholt und machen inzwischen fast die Hälfte der Promovierenden aus. Aber immer noch sind Frauen nur zu einem Drittel auf Lehrstühlen, noch weniger in Leitungsfunktionen an Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen vertreten. Der letzte Bericht zu „Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen“ der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern sagt ausdrücklich, dass sich an der  „Firmenkultur“ seit den 1980er Jahren nur wenig geändert hat:

„Vor allem aber bedarf es eines Kulturwandels in den Organisationen und Einrichtungen des Wissenschaftssystems, der insbesondere den Bedürfnissen von Frauen Rechnung trägt.“

Gut, Frauen brauchen heute kein Pseudonym mehr. Sie können wie Astrid Kaiser, (emeritierte!) Professorin der Didaktik des Sachunterrichts an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, einen offensiven „Reiseführer für die Unikarriere. Zwischen Schlangengrube und Wissenschaftsoase“ (2015) veröffentlichen. Während Curruca sich noch von einem elitären Standpunkt aus darüber empört, „(w)as an deutschen Universitäten gespielt wird“, schafft es Kaiser, den wissenschaftlichen Nachwuchs – besonders auch Frauen – lebenspraktisch vor genau diesen Machtspielen als „No-Go-Areas“ zu warnen. Sie empfiehlt „Sehenswürdigkeiten“ und motiviert zum Einstieg in die Forschung auch in Zeiten des gnadenlosen Konkurrenzdrucks.

Kaisers „Insidertipps“ (2015, 125-152) seien allen ans Herz gelegt, die sich in den Bauch der Wissenschaft begeben wollen oder darin noch ihren Platz suchen. Mit gefällt dabei, welchen hohen Wert die Pädagogin dabei dem freien Schreiben als Weg zur Selbstbehauptung einräumt. Hier ihre „Insidertipps“ in Kurzform.

Wie man in der Wissenschaft Karriere macht, ohne die Lust zu verlieren: Überlebenstipps von Astrid Kaiser

1. Üben Sie die Begeisterung für Ihr eigenes Thema ein:

  • Üben Sie am besten im persönlichen Gespräch mit Freund*innen, die fachfremd sind. Üben Sie die Begeisterung auch im inneren Dialog, z.B. indem Sie aufschreiben, was alles an Ihrer Arbeit gelungen und besonders ist.
  • Schätzen Sie den Zweifel als „Herzstück und Motor“ der eigenen sowie der fremden Forschung.
  • Kehren Sie zum „ursprünglichen Denken“ zurück: Indem Sie sich Rückmeldungen zur eigenen Forschung von „normalen“ Menschen einholen, z.B. Kindern oder älteren Zuhörenden.
  • Nehmen Sie reale Probleme zum Ausgangspunkt Ihres wissenschaftlichen Denkens. Überlegen Sie, für welche Menschen und welche Praxisfelder Ihre Forschung wichtig sein könnte.

2. Entwickeln Sie echte Lust an wissenschaftlicher Arbeit:

  • Halten Sie Ihre eigene Thematik und Fragestellung selbst unbedingt für wichtig.
  • Tauchen Sie in die Fachgeschichte ein und freuen Sie sich daran, Ihren Teil zum historisch gewachsenen Wissensnetz beitragen zu können.
  • Entwickeln Sie eine kollegiale Haltung gegenüber der Forschungsliteratur und den entsprechenden Autor*innen. Dadurch entdecken Sie die positiven Gedanken in den Texten, statt immer nur Defizite zu sehen.
  • Führen Sie ein Forschungstagebuch, z.B. indem Sie täglich abends 15 Minuten Ihre Gedanken und Gespräche reflektieren.

3. Behalten Sie den roten Faden immer im Blick:

  • Ordnen Sie Ihre Gedanken und Konzepte durch Visualisierungstechniken, z.B. mit Hilfe einer Concept Map.
  • Bauen Sie von Anfang an eine gute Literaturdatenbank auf.
  • Formulieren Sie Ihre Fragestellung genau aus und kopieren Sie sie hinter die Überschrift in jedes Kapitel. Verbinden Sie die Beschreibung des Forschungsstandes mit Interpretation.

4. Sorgen Sie gut für sich im universitären Umfeld:

  • Gewinnen Sie kritische Freund.innen, die Ihre Forschungsarbeit verstehen, mit Ihnen solidarisch sind und nicht in Konkurrenz stehen.
  • Schenken Sie den Geltungssüchtigen in wissenschaftlichen Diskussionen und Gremien nicht Ihre Zeit und Beachtung.
  • Wappnen Sie sich durch effizient recherchierte, aktuelle Lektürehäppchen gegen Angriffe.
  • Lernen Sie, bei universitären Dokumente, Profilpapieren und Ausschreibungen zwischen den Zeilen zu lesen.
  • Legen Sie eine Textdatei mit Textbausteinen an. So können Sie sie sogar für mehrere Veröffentlichungen nutzen.
  • Machen Sie regelmäßig Pausen und trennen Sie Wichtiges von Unwichtigem, damit Sie gesund bleiben und buchstäblich auf gute Gedanken kommen.

Literatur:

  • Sylvia Curruca, Als Frau im Bauch der Wissenschaft. Was an deutschen Universitäten gespielt wird, Freiburg 1993.
  • Astrid Kaiser, Reiseführer für die Unikarriere. Zwischen Schlangengrube und Wissenschaftsoase, Opladen/Toronto 2015.
Daniela Liebscher